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Digitale Pathologie – wo steht Deutschland?

Prof. Dr. Gunter Werner Haroske, Leiter der Kommission Digitale Pathologie im Bundesverband Deutscher Pathologen und Leiter des Instituts für Pathologie am Städtischen Klinikum Dresden

Die Zukunft der Pathologie ist digital – darin stimmen mittlerweile fast alle Experten überein. Befundung am Computer statt am konventionellen Mikroskop, schnelleres und besseres Datenmanagement sowie das Potential, digitale Scans direkt von einer KI auswerten zu lassen – das alles sind schlagkräftige Argumente für die neue Technik. Dennoch ist die Umstellung in Deutschland bislang eher ein behutsames Herantasten, fasst Dr. Gunter Haroske den aktuellen Stand zusammen. Viele Abteilungen arbeiten noch weitgehend analog, mitunter durchbrochen von digitalen Insellösungen. Der Leiter der Kommission Digitale Pathologie im Bundesverband Deutscher Pathologen und langjähriger Leiter des Instituts für Pathologie am Städtischen Klinikum Dresden erklärt, welche Hürden die digitale Pathologie in Deutschland noch nehmen muss – und in welchen Bereichen die neue Technik bereits erfolgreich Fuß gefasst hat.

„In der klinischen Routinediagnostik gibt es durchaus Fortschritte“, sagt Haroske. Von einem schlagartigen Umschwung könne zwar noch nicht die Rede sein, doch immer mehr Kliniken stellten mittlerweile ihre Pathologie auf digitales Equipment um. In der Ausbildung sei die digitale Pathologie dagegen schon recht gut etabliert: „Es gibt keine universitäre medizinische Fakultät mehr, die ihre Pathologiekurse nicht digital ausrichtet. Auch die Fort- und Weiterbildung findet zunehmend auf digitaler Ebene statt.“ Die Internationale Akademie für Pathologie (IAP), die maßgebliche Institution für Fortbildung in diesem Fachbereich in Deutschland, bietet seit Jahren die Mehrzahl ihrer Kurse in digitaler Form an.

Den Siegeszug der digitalen Technik, wie er in anderen Bereichen längst stattgefunden hat, bremsen in der Pathologie Komplexitätsprobleme, z.B. bei der  Mustererkennung aus. Ohne die zuverlässige Unterscheidung beispielsweise zwischen benignen und malignen Tumorstrukturen hat die digitale Pathologie es schwer, sich gegen etablierte Techniken durchzusetzen. „Das ist vor allem eine Baustelle im Bereich des maschinellen Lernens – und da tut sich aktuell einiges“, gibt Haroske zu bedenken.

Mehrere Studien aus Deutschland loten das Potenzial der KI-gestützten Mustererkennung für die Diagnostik aus und bescheinigen der Technologie handfeste Vorteile gegenüber der herkömmlichen Pathologie. So können Algorithmen Immunreaktionen quantifizieren, indem sie die Anzahl von Lymphozyten erfassen, die einen Tumor umgeben, oder Reaktionen des Proteins PD-L1 – einen wichtigen Biomarker für verschiedene Krebserkrankungen – auswerten. „Es gibt bereits mehrere Lösungen auf dem Markt, die mit dieser Technik arbeiten.“

Runter von der Insellösung

Fortschritte gibt es bei der Färbung digitalpathologischer Aufnahmen zu verzeichnen: Hier erschwerten fehlende Standards das Vergleichen HE-gefärbter Objektträger aus unterschiedlichen Quellen – doch dieses Problem spielt dank ausgereifter Normalisierungsverfahren mittlerweile kaum noch eine Rolle, weiß Haroske zu berichten. „Die eingesetzten Algorithmen sind heute so stabil, dass Farbvariationen zuverlässig herausgerechnet werden.“

Ein entscheidender Schritt, den die Pathologie derzeit vollzieht, ist die Etablierung kompletter digitaler Workflows. Ein Beispiel dafür, wie dieser Schritt gelingen kann, liefert das Gemeinschaftsprojekt zur Volldigitalisierung der Pathologie von Sectra und Hamamatsu, das auf der diesjährigen Entscheiderfabrik einigen Eindruck machte. „Wir bewegen uns damit weg von den bisherigen Insellösungen, mit denen ein sinnvolles Arbeiten in der klinischen Routine nicht machbar ist.“ In Deutschland zeigt sich der Experte überzeugt, werden schon bald die ersten Institute volldigitale Pathologien vorhalten. Anderorts vollzieht sich der Prozess der Digitalisierung stückweise; so werden beispielsweise zunächst die Stanzpräparate von Mammakarzinomen digital verarbeitet, danach wird der Ablauf auf weitere Indikationen erweitert. „Das ist eine Frage der Kapazität.“ Wieder andere klammern die primäre Diagnostik aus und setzen stattdessen auf eine Digitalisierung des Forschungsprozesses.

Die vollständige Umstellung auf digitale Abläufe ebnet den Weg für zuvor undenkbare Zusammenschlüsse. So sind in der Schweiz Bestrebungen erkennbar, Radiologie und Pathologie unter dem gemeinsamen Mantel ‚Diagnostik‘ zu vereinen. „Viel von dieser Entwicklung ist lediglich Hype“, gibt Haroske zu bedenken. „Allein in ihrer Größenordnung sind die Unterschiede zwischen radiologischen Aufnahmen und pathologischen Schnittbildern viel zu groß, als dass beide Seiten nennenswerte Synergieeffekte daraus ziehen könnten. Dagegen wäre es sicherlich sinnvoll, Labormedizin und Pathologie unter einem digitalen Dach zu vereinen, denn hier gibt es viele Gemeinsamkeiten.“

Die KI ist nicht das Problem, sondern die Furcht vor ihr

Auch das Schreckgespenst der künstlichen Intelligenz (KI) als Verdränger menschlicher Diagnostiker dreht bisweilen noch seine Runden – ungeachtet zahlloser
medizinischer und IT-Experten, die diese Prognose als haltlos entlarvt haben. „Die Angst vor KI ist vor allem von Unkenntnis geprägt“, so Haroske – sowohl, was die Radiologie als auch die Pathologie angeht.

Dem gegenüber steht die durchaus reale Bedrohung beider Berufsbilder, die sich aus dem zunehmenden Nachwuchsmangel ergibt. „Die Angst vor der Übernahme durch KI macht vielerorts das Berufsbild kaputt.“ Junge Nachwuchskräfte sind verunsichert, ob der Beruf, den sie erlernen wollen, in einigen Jahren überhaupt noch existiert. Gerade in der Pathologie, wo diese Zukunftsangst bislang weniger ausgeprägt ist als in der Radiologie, müsse mit gezielter Information der Unterschied zwischen Hype und Realität deutlich gemacht werden. „Wir werden heilfroh sein, wenn uns Digitalisierung und KI bei Routineaufgaben unterstützen“, betont Haroske. „Aber wir werden nach wie vor diejenigen sein, die die Diagnosen stellen.“

Standardisierung fällt nicht vom Himmel

Übergreifende Standards haben für den Experten das Potenzial, die Medizin im Allgemeinen und die Pathologie im Besonderen voranzubringen. Solche Standards ermöglichen den maschinellen Austausch und die Zusammenführung von Daten, die aus Bildern gewonnen werden können und damit auch deren Auswertbarkeit. „Aber das passiert nicht von alleine“, mahnt Haroske. Weil für Firmen und Kliniken der finanzielle Anreiz fehlt, ergreife in vielen europäischen Ländern der Staat die Initiative und schaffe einen verbindlichen regulatorischen Rahmen, mit dem Daten etwa für die Einbindung in die elektronische Patientenakte vereinheitlicht werden. In Deutschland ist dies bislang nicht der Fall. Pathologen müssten sich daher selbst für ihre Belange stark machen, wenn es um die Etablierung von Standards gehe – bislang habe sich der vergleichsweise kleine Fachbereich mit den sprichwörtlichen Brosamen begnügen müssen, wenn Radiologen und Labormediziner das Feld der strukturierten Befundung unter sich aufteilen.

Die digitale Pathologie kommt, daran hat der Experte keinen Zweifel – die Frage ist nur, wie bald.

Prof. Dr. Gunter Werner Haroske ist Leiter der Kommission Digitale Pathologie im Bundesverband Deutscher Pathologen und langjähriger Leiter des Instituts für Pathologie am Städtischen Klinikum Dresden. Er ist Mitglied zahlreicher Fahrgesellschaften, darunter der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, der European Society for Analytical Cellular Pathology (ESACP), der Gesellschaft für Senologie sowie HL7 Deutschland und IHE Deutschland. In letzteren beiden Organisationen macht sich Prof. Haroske für die Etablierung übergreifender Standards in der Pathologie stark.